Die OpenSource Buchmesse
Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch in der Mystery People December issue 2021.
Frankfurter Buchmesse 2021 im zweiten Jahr der Pandemie. Nicht jede:r konnte hingehen, viele wollten es auch gar nicht. Doch das neue Schlagwort heißt „digitale Inklusion“: Menschen die Teilnahme erleichtern (oder überhaupt erst möglich machen).
Die Mörderischen Schwestern feiern dieses Jahr ihr silbernes Jubiläum und die Frankfurter Buchmesse hatte dafür einen schönen Stand gesponsert. Er wurde vor Ort liebevoll dekoriert mit roten Wänden und mit Regalen voller Bücher der schreibenden Schwestern und der Jubiläums-Anthologie. Es fanden Signierstunden statt, Menschen knüpften Kontakte.
Aber die meisten Mörderischen Schwestern waren zu Hause, arbeiteten in ihrem Brotjob oder waren mit Carearbeit beschäftigt. Daher beschlossen wir als Orgateam, ein Online-Programm anzubieten, damit alle teilnehmen konnten.
[An dieser Stelle sei angemerkt, dass ich, Klaudia, an der Organisation beteiligt war, die Lösungen vorgeschlagen habe und auf reges Interesse stieß.]
Für die allgemeine Planung nutzten wir kollaborative Etherpads (pads.litera.tools), so dass jede:r im Team immer den aktuellen Stand der Dinge sehen konnte.
Mehrere Schwestern nahmen Interviews und Diskussionen zu Themen wie „Frauen in Kriminalromanen“, „Sprache und Vielfalt“ und vielem mehr auf. Wir verwendeten Jitsi, eine Open-Source-Videokonferenzsoftware, und OBS (Open Broadcaster Software) für die Aufnahmen. Das Feedback der Teilnehmer:innen war überwältigend positiv. Es war die einfachste Videokonferenz und Aufzeichnung, die man haben kann: einfach einen Link anklicken.
Etwa 30 Schwestern schickten uns Lesungen für eine Online-Ladies-Crime-Night. Und wir bekamen auch Buchtrailer und Vorstellungen einiger Regionalgruppen.
Viele Schwestern schickten uns Titelbilder und Informationen zu ihren neuen Büchern über ein NextCloud-Formular und einen Upload-Ordner. Eine Schwester erstellte SedCards für alle, die ihre Fragen beantworteten. Buchcover und SedCards machten den größten Teil der Informationsschleifen auf dem Monitor am Stand vor Ort bei der Buchmesse und in den Pausen des Livestreams aus.
Die Info-Schleifen wurden mit info-beamer erstellt, einer Open-Source-Software, die auf RaspberryPi-Computern läuft. Wir hatten zwei davon. Einer wurde vorbereitet und per Post an das lokale Team in Frankfurt geschickt. Sie verbanden ihn mit einem Smartphone, das die Internetverbindung herstellte. Neben Covern, SedCards und einigen allgemeinen Informationen zu den Mörderischen Schwestern zeigte er den Zeitplan der Signierstunden, eine Twitter- und eine Mastodon-Wall. Der zweite Info-Beamer war direkt mit dem Streaming-Rechner verbunden und zeigte anstelle der Signierstunden den Online-Fahrplan, ansonsten aber den gleichen Inhalt.
Ein Linux-Rechner war unsere Streaming-Maschine. Und wir haben uns für die Open Streaming Platform auf stream.litera.tools als primären Kanal entschieden. Diese Plattform funktioniert wie YouTube oder Twitch, allerdings ohne Tracking oder die Notwendigkeit, ein Konto zu haben, um einen Stream oder veröffentlichte Videos ansehen zu können. Tatsächlich haben wir YouTube als Backup-Kanal genutzt, falls etwas schief gehen sollte. Die Schwestern haben unseren Buchmesse-Kanal auf stream.litera.tools über ihre jeweiligen Wege kommuniziert.
Den Stream selbst schickten wir über OBS, was auch eine gute Gelegenheit war, das Logo der Schwestern und Overlays mit den Namen der Personen einzublenden, die im aktuellen Video zu sehen waren.
Es war ein handgemachter Livestream mit Chat und Social-Media-Ankündigungen über Mastodon auf literatur.social. Es gibt die Möglichkeit, Crossposts von und zu Twitter zu machen, aber leider haben wir das vor der Veranstaltung nicht mehr hinbekommen.
Während der Buchmesse war der größte Teil des Orgateams in Frankfurt. Irgendwann während des Aufbaus kam nach einigem Hin und Her der Info-Beamer vor Ort online und tauchte im Backend auf – so müssen sich die Leute bei der NASA fühlen, wenn ein Mars-Rover sein erstes Lebenszeichen sendet.
Der Aufbau am Streaming-Standort war weitaus weniger komplex als an einem lokalen Stand: den Linux-Rechner auf den Tisch stellen, den zweiten Info-Beamer anschließen, jeweils ein LAN- und ein Stromkabel einstecken und der Rest war ein bisschen Rumgefummel mit Stream-Keys in der Open Streaming Platform und auf YouTube.
Etwa zu diesem Zeitpunkt haben wir dem Team vor Ort verraten, dass OBS einen Jitsi-Raum als Quelle für den Stream nehmen kann. Sie wollten sofort eine 5 bis 10-minütige Live-Schalte vom Stand. Jeden Tag. Wenn möglich.
Also starteten wir unseren Livestream mit einer Live-Schalte aus Frankfurt. Der nächste Marsrover … Und es hat erstaunlich gut funktioniert. Jeden Tag – außer am Sonntag, da war es zu laut auf der Buchmesse – schickte uns das Team vor Ort Bilder und kurze Filmschnipsel, die wir morgens zu einem Video zusammenstellten. Das gab es immer direkt nach der Liveschalte im Stream zu sehen.
Abends haben wir die Tagesvideos aus dem OBS-Recording inklusive Logo und Namens-Overlays mit LosslessCut, einem weiteren Open-Source-Tool, geschnitten. Dann haben wir die einzelnen Videos neben den kompletten Stream-Mitschnitten in den Schwestern-Buchmesse-Kanal auf stream.litera.tools hochgeladen.
Insgesamt haben wir in fünf Tagen 28 Videos ausgestrahlt. Wie oben erwähnt, haben wir YouTube als Backup genutzt. Der Livestream war zur gleichen Zeit auf YouTube zu sehen (außer am Freitag, wo er mit zwei Videos verspätung begann, weil YouTube unseren Stream einfach nicht mehr erkannte). Während der fünf Tage hatten wir 2.700 Zugriffe auf stream.litera.tools – und 3 auf YouTube. Da fehlt keine Ziffer.
Das zeigt, dass man nicht auf einer der großen Plattformen sein muss, um Traffic auf seine Inhalte zu bekommen. Und es gibt kein Laufpublikum, vor allem wohl deshalb, weil die großen Plattformen ohnehin schon völlig überlaufen sind.
Was die digitale Inklusion betrifft, so war das Feedback für den Livestream dasselbe wie für die Aufnahmeräume: dass der Zugang so einfach war. Keine Anmeldung, nichts zu installieren, einfach auf die Website gehen und zuschauen.
Was wir nicht hatten: Übersetzungen, Untertitel oder Gebärdensprache. Wir haben hauptsächlich deutsche Videos, zwei auf Englisch. Was uns fehlt, sind Open-Source-Übersetzungsdienste oder mehr Leute, die bereit sind, sich zu engagieren.
Alles in allem war die Open-Source-Buchmesse ein Erfolg, für das Software-Experiment und für die Mörderischen Schwestern, die von zu Hause aus einen Blick auf das Geschehen in Frankfurt werfen konnten, aber so viel mehr Inhalte und Informationen bekamen, als Menschen, die nur vor Ort waren.
Alle Videos sind abrufbar unter: https://stream.litera.tools/a/mschwestern
Für alle, die sich für die technischen Details interessieren:
litera.tools
stream.litera.tools (zu dem Zeitpinkt Open Streaming Platform, im Januar 2022 auf Peertube umgestellt)
meet.litera.tools (Jitsi, Videokonferenzen, keine Registrierung notwendig)
workshops.litera.tools (BigBlueButton, Videokonferenzen)
pads.litera.tools (Etherpads, kollaborative Textverarbeitung)
events.litera.tools (Mobilizon, Alternative zu FB Gruppen & Events)
literatur.social (Mastodon, Alternative zu Twitter)
Verwendete Open-Source-Lösungen:
Etherpad: https://etherpad.org/
Jitsi: https://jitsi.org/
NextCloud: https://nextcloud.com/
OBS: https://obsproject.com/
Open Streaming Platform: https://openstreamingplatform.com/
Mastodon: https://joinmastodon.org/
Cross-posting service (nur erwähnt): https://moa.party/
Mini-Computer: Raspberry Pi https://www.raspberrypi.org/
Info-Beamer: https://info-beamer.com/
LosslessCut: https://github.com/mifi/lossless-cut